Erweiterung der Europäischen
Union
Einleitung
Im Mai dieses Jahres werden zehn neue Mitglieder der Europäischen
Union beitreten: die Republik Zypern, die Tschechische Republik, Estland,
Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei und Slowenien.
Mit diesem historischen Ereignis wird der europäische Kontinent
endgültig wiedervereinigt. Die Erweiterung der EU um die mittel-
und osteuropäischen Länder ist Schlusspunkt einer Friedenspolitik,
die Willy Brandt eingeleitet hat. Darauf sind wir Sozialdemokraten stolz.
Was sind die Voraussetzungen für die Erweiterung?
Um der Union beizutreten, müssen bestimmte wirtschaftliche und
politische Bedingungen, die sogenannten "Kopenhagener Kriterien",
erfüllt sein. Ein zukünftiges Mitgliedsland muss folgende
Voraussetzungen erfüllen:
- Stabilität der Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit,
Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten;
- eine funktionierende Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem
Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten
und
- die Übernahme der gemeinschaftlichen Regeln, Standards und
Politiken, die die Gesamtheit des EU Rechts darstellen.
Wie lief und läuft die Vorbereitung auf die Erweiterung?
Bereits im Vorfeld des Beitritts unterstützt die EU die Beitrittsstaaten
bei der Übernahme des EU-Rechts und stellt finanzielle Unterstützungen
zur Verfügung, um die Infrastruktur und Wirtschaft in den Beitrittsländern
zu verbessern. Es gab und gibt regelmäßige Berichte der Kommission
über den Fortschritt in den Beitrittsländern, so dass die
Unterstützung auch immer wieder an den aktuellen Stand angepasst
werden kann. Für die Jahre 2000 bis 2003 betrugen die Vorbeitrittshilfen
für die 10 neuen Mitgliedsstaaten insgesamt 13,2 Mrd. €. In
den Jahren 2004 bis 2006, in denen die Beitrittsländer auch Anspruch
auf Zahlungen aus der gemeinsamen Agrarpolitik und den Strukturfonds
haben, werden die Gesamtkosten für die Erweiterung bei 40,85 Mrd.
€ liegen.
Was wird sich bei den europäischen Institutionen ändern?
Die neuen Mitgliedstaaten werden bereits an den Europawahlen im Juni
2004 teilnehmen. Das Parlament wird danach bis zu 736 (statt 626) Abgeordnete
haben. Darüber hinaus wird die Kommission vergrößert:
Mit dem Beitritt können auch die neuen Mitglieder einen Vertreter
nach Brüssel entsenden und das Gremium wächst für einige
Jahre auf 25 Kommissare an. Der Entwurf der geplanten europäischen
Verfassung sieht aber ab 2009 eine Verkleinerung beider Gremien vor,
um deren Handlungsfähigkeit sicher zu stellen. Die Kommission soll
danach wieder 15 Mitglieder und das Parlament nur noch rund 700 Abgeordneten
haben.
Was sind die Vorteile der Erweiterung?
Die Erweiterung hat viele Vorteile. Allen voran steht die historische
Chance, Europa nach Generationen der Trennung und des Konflikts friedlich
zu vereinen. Gleichzeitig wird die Stabilität und die Sicherheit
der EU auf eine weitere Gruppe von Ländern ausgedehnt, wodurch
die Chancen der gesamten EU für Frieden und Wohlstand steigen.
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 ist ein starkes und
vereintes Europa wichtiger denn je, um Frieden, Sicherheit und Freiheit
der Bürger gewährleisten zu können. Ein weiterer bedeutender
Vorteil liegt in der Entstehung eines wesentlich größeren
Marktes. Mit der Erweiterung entsteht in Europa der größte
gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt, in dem rund 450 Millionen Menschen
leben. Ein Markt von diesem Umfang löst neue Impulse für die
Investitionstätigkeit und Schaffung von Arbeitsplätzen aus.
Er führt außerdem zu mehr Wohlstand in ganz Europa - sowohl
in den neuen als auch in den alten Mitgliedstaaten. Deutschland wird
aufgrund seiner Nähe zu den neuen Mitgliedern der EU besonders
von der Importnachfrage profitieren. Dies gilt Insbesondere für
Ostdeutschland, da Märkte zurück gewonnen werden können,
die nach der Wende we gebrochen sind. Die Verbraucher werden in den
Genuss einer größeren Auswahl und sinkender Preise kommen
und schließlich wird auch die Umwelt gewinnen: Denn mit der Erweiterung
gelten die hohen Umweltstandards der EU auch in den neuen Mitgliedstaaten.
Beispielsweise müssen sie die Luftverschmutzung eindämmen
und die Kernkraftwerkstechnik den EU-Sicherheitskriterien anpassen.
Wird ein Zustrom von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten
einsetzen? Kommt es zum Lohndumping?
Beide Gefahren bestehen nicht. Denn um der Befürchtung der derzeitigen
Mitgliedstaaten vor einem übermäßigen Ansturm auf ihre
Arbeitsmärkte entgegensteuern zu können, hat die EU flexible
Übergangsvereinbarungen mit den Beitrittstaaten vereinbart, die
es den gegenwärtigen Mitgliedstaaten gestatten, die Zuwanderung
von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten während eines
Zeitraumes von sieben Jahren zu begrenzen. Deutschland hat eine entsprechende
Begrenzung der Zuwanderung beschlossen. Die Mitgliedstaaten können
die freie Zuwanderung von Arbeitskräften aber auch schon eher zulassen
- je nach dem, welche Erfahrungen sie machen. Die Wahrscheinlichkeit,
dass es überhaupt zu einem Ansturm auf die Arbeitsmärkte kommt,
wird aber als gering eingeschätzt. Denn die geschätzten Wachstumsraten
der Beitrittsländer für 2004 sind hoch - sie liegen zwischen
1,9 % in Ungarn und 7,1 % in Litauen (Deutschland erwartet ein Wachstum
zwischen 1,5 und 2 %). Und je mehr Wirtschaftswachstum in den Beitrittsländern
selbst erzielt wird, desto weniger attraktiv wird es für die Arbeitnehmer
sein, einen Arbeitsplatz in den anderen EU-Staaten zu suchen. Diese
Erfahrung wurde übrigens auch gemacht, als Spanien, Portugal und
Griechenland der EU beigetreten sind. Auch die Gefahr des Lohndumpings
besteht nicht, denn die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, in Schlüsselbereichen
der Sozialpolitik EU-Recht anzuwenden und durchzusetzen. Das gilt z.
B. für die Begrenzung der Arbeitszeit, für Mindestsicherheitsstandards
am Arbeitsplatz oder die Gleichbehandlung der Geschlechter. Außerdem
müssen Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern, die in
den bisherigen Mitgliedstaaten angestellt werden sollen, zu den dort
herrschenden Konditionen beschäftigt werden. Die Angst, dass sich
die Arbeitgeber für Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern
entscheidet, weil dieser bereit ist, zu schlechteren sozialen Konditionen
zu arbeiten, besteht also nicht.
Generell wird übrigens erwartet, dass durch die Erweiterung neue
Arbeitsplätze entstehen. Bereits die Planung der Erweiterung hat
in der europäischen Wirtschaft neue Wachstumsimpulse ausgelöst
und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geführt. Wirtschaftswissenschaftler
gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt und sowohl auf Seiten
der gegenwärtigen Mitgliedstaaten als auch auf Seiten der beitretenden
Ländern neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wird die Erweiterung die Sicherheit unserer Nahrungsmittel beeinträchtigen?
Nein. Der Nahrungsmittelsicherheit wird in der EU höchste Priorität
beigemessen. Ziel ist, ein hohes Maß an Gesundheits- und Verbraucherschutz
sicher zu stellen. Deshalb müssen die Bewerberländer gewährleisten,
dass sie alle Vorschriften zur Nahrungsmittelsicherheit anwenden und
über angemessene Kontrollmechanismen verfügen. Es wird also
in keinem Fall zu einer Absenkung des gegenwärtigen Niveaus der
Nahrungsmittelqualität kommen und die Verbraucher können nach
wie vor sicher sein, dass auch in der erweiterten Union nur einwandfreie
Nahrungsmittel in den freien Verkehr gelangen.
Was wird getan, damit die neuen Mitglieder die EU-Umweltnormen einhalten?
Die Einhaltung der Umweltnormen ist essenziell für die Erhaltung
der natürlichen Lebensräume in Europa und gilt unabhängig
von Ländergrenzen, weil verunreinigte Luft vor Ländergrenzen
keinen Halt macht. Die EU-Umweltnormen müssen daher auch von den
neuen Mitgliedstaaten eingehalten werden. Leider gehört der Umweltschutz
zu den Bereichen, in denen die diese den größten Nachholbedarf
aufweisen. Weil die bestehenden Unterschiede zwischen alten und neuen
Mitgliedstaaten beseitigt werden müssen - natürlich unter
Beibehaltung der geltenden EU-Normen - hat die EU in beträchtlichem
Maße in die Verbesserung der Umweltbedingungen in den Beitrittsländern
investiert. Seit 1990 wurden im Rahmen des fast 1 Mrd. € für
diesen Bereich bereitgestellt.
Ist die Erweiterung mit der Gefahr von mehr Kriminalität verbunden?
Nein - im Gegenteil! Denn bei der Kriminalitätsbekämpfung
wird es innerhalb der EU eine verstärkte Zusammenarbeit geben,
z.B. bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung. Die neuen EU-Staaten
sind verpflichtet, Terrorismus, Menschenhandel und Drogenkriminalität
schon an ihren Außengrenzen zu bekämpfen. Die EU unterstützt
sie dabei durch Ausbildung und Ausstattung von Polizei und Justiz. Da
die neuen Mitgliedstaaten nach den Beitrittsbestimmungen außerdem
verpflichtet sind, bessere Standards, Verfahren und Mechanismen bei
der Verbrechensbekämpfung einzuführen und damit auch bereits
begonnen haben, werden sich die Gefahren für Bürgerinnen und
Bürger der gegenwärtigen EU durch die Erweiterung sogar verringern.
Was wird Erweiterung kosten und wird mein Land mehr zahlen müssen?
Was die Erweiterung konkret kosten wird, kann man nicht genau sagen.
Denn die Vorteile, die die Erweiterung mit sich bringen wird - beispielsweise
der wirtschaftliche Aufschwung und der damit verbundene Zuwachs an Wohlstand
- lassen sich nicht ausschließlich an Haushaltsaspekten messen.
Fakt ist, dass die Erweiterung nicht zum Nulltarif erfolgen kann. Doch
die Furcht, dass die Erweiterung zu einer unabsehbaren und unkkontrollierbaren
finanziellen Belastung für die Mitgliedstaaten werden könnte,
ist unbegründet. Denn die Obergrenze für den Beitrag zum EU-Haushalt
für die Mitgliedstaaten liegt bei 1,27 % des BIP.
Welche weiteren Staaten werden beitreten? Wie ist das mit der Türkei?
Beitrittsverhandlungen gibt es derzeit mit Bulgarien und Rumänien,
die voraussichtlich 2007 der EU beitreten werden. Jedenfalls schätzt
die Kommission, dass die Beitrittsvoraussetzungen bis dahin erfüllt
sein werden.
Hinsichtlich des bereits viel diskutierten Beitritts der Türkei
hingegen sind noch keinerlei Verhandlungen aufgenommen worden. Ob dies
der Fall sein wird, wird sich auch frühestens Ende 2004 entscheiden.
Bis dahin soll die Kommission einen Bericht über die Fortschritte
der Türkei im Hinblick auf die Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen
erstellen. Nur wenn dieser Bericht feststellt, dass die Türkei
ausreichend auf den Beitritt vorbereitet ist, kann entschieden werden,
ob mit den Beitrittsverhandlungen begonnen werden kann. Ein faktischer
Beitritt der Türkei steht also in den nächsten Jahren noch
überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Die Türkei hat aber
bereits viele demokratische Reformen eingeleitet. So wurde die Todesstrafe
abgeschafft, Männer und Frauen wurden rechtlich gleich gestellt,
Minderheitenrechte wurden verstärkt und der Einfluss des Militärs
in die Innenpolitik wurde eingeschränkt. Es liegt im wirtschaftlichen
und sicherheitspolitischen Interesse Europas, die Türkei möglichst
eng in die europäische Wertegemeinschaft einzubinden. Eine demokratische
Türkei ist ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus,
sie ist ein Vorbild für alle demokratischen Bewegungen in islamischen
Staaten. Deshalb braucht die Türkei nach Auffassung der Sozialdemokraten
eine europäische Perspektive.